29. Januar 2025, Deutscher Bundestag Ein grobes Kurzprotokoll und eine sehr persönliche Empörung über das sehr überlegte, sehr bewusste Handeln des MdB Friedrich Merz an diesem Tag.

Am Vormittag im Parlament: Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Überlebende des Holocaust sind Gäste, ein Betroffener Ukrainer spricht.

Am Nachmittag im Parlament: Abstimmung über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion, eingebracht von Friedrich Merz, MdB, Parteivorsitzender der CDU, mit dem Titel »Fünf Punkte für sichere Grenzen und das Ende der illegalen Migration«.

Der Antrag erhält eine Mehrheit, die durch die in Teilen erwiesenermaßen rechtsextremistische AfD, in der auch Holocaustleugner/innen und -relativist/innen eine politische Heimat gefunden haben, zustandekommt. Herr Merz verlautbarte im kommunikatorischen Vorfeld, es sei ihm egal, woher eine Mehrheit für einen Antrag von, wie er an diesem Tag bekräftigte, demokratisch ins Parlament gewählten Parteien kommt.

Es ist davon auszugehen, dass Herr Merz über den Terminplan des Vormittags bei der Planung seines Wahlkampfmanövers, mit dem er nach eigenem Bekunden versucht, die AfD zu schrumpfen, im vollen Bilde war.


Der parlamentarische Tag des 29. Januar 2025 nötigt mir ein Zitat ab: »Die Scham muss das Lager wechseln.«

Schämen Sie sich doch bitte selbst, Herr Merz.

Und bedenken Sie dabei: Das Reispapier verzeiht nicht. Sie können nichts korrigieren.

Die Mehrheit der Syrer/innen, nicht nur in Deutschland, schämt sich wegen EINEM Syrer. Die Mehrheit der Afghanen/innen, nicht nur in Deutschland, schämt sich wegen EINEM Afghanen. Eine Mehrheit der Menschen, nicht nur in einem Land, können sich also wegen EINES Menschen schämen.

Nicht, weil es diesen Menschen überhaupt gibt oder er in einem für ihn fremden Land weilt, für dessen Bewohner/Innen er ein Fremder ist. Sondern weil dieser Mensch tat, was er tat, aus welchen Gründen oder Ursachen auch immer.

Tabus haben in allen Kulturen ihren sachlichen Zweck, Herr Merz. Auch wenn nicht alle zustimmen.

Und merken Sie sich eines: Die Welt besteht nicht nur aus Sachen. Wenn Sie daran glauben, dass etwas in der Sache richtig bleibt, auch wenn die Falschen zustimmen und sich dabei jedoch nicht fragen, von welcher Sache Sie eigentlich reden und ob die Richtigkeit ihrer Sache einer kritischen Prüfung fernab von Wahlkampfgetöse standhält, sind Sie vielleicht ein hervorragender Geschäftsmann, doch als Politiker meines Erachtens nach völlig ungeeignet und als Kanzler der Bundesrepublik Deutschland nicht zu empfehlen. Ich möchte von Ihnen nicht in der Welt vertreten werden. Ich möchte nicht, dass Sie zum Gesicht dieses Staates und der Bürger, die für ihn als liberale Demokratie bürgen wollen, werden.

Sie versachlichen die Welt und werden so, ob früher oder später, das tun, was die AfD propagiert: Sie versachlichen Menschen. Genau diese Entmenschlichung war es, die den Holocaust überhaupt erst möglich machte.

Soweit mir bekannt ist, gelten Sie als Millionär. Geld macht offenbar schamlos, verdirbt also den Charakter. Und die Aussicht auf Macht womöglich auch.

Sie, Herr Merz, haben am 29. Januar 2025 dem Gauland’schen „Vogelschiss“ salonfähig gemacht und die AfD bestätigt, was die ja auch sofort im Plenarsaal gefeiert hat. Sie, Herr Merz, sind der Steigbügelhalter für eine mögliche Zukunft, die geschätzt 75 bis 80 Prozent der Wahlberechtigten nicht wollen. Sonst würden 100% der Wahlberechtigten die AfD wählen. Sie, Herr Merz, haben schamlos gehandelt, sich wahrscheinlich verkalkuliert und werden keinerlei Konsequenzen selbst ziehen oder zu befürchten haben. Und es ist mir nun völlig egal, ob sich für diese in der Sache wohl richtigen Beobachtung eine Mehrheit findet oder nicht.

Ein Handeln wird nicht deshalb gut, weil man meint überzeugt zu sein, etwas Gutes zu tun, Herr Merz.

Mir, als Bürger dieses Staates und Bürge für eine liberale Demokratie und Widersacher jedweder autoritaristischen Tendenzen, und seien sich noch so unscheinbar, bleibt nur, die CDU/CSU und ihre nahen Anverwandten, AfD und FDP, und allen Parteien, die den Ruch des Konservativen haben, völlig egal ob ‚rechts‘ oder ‚links‘, bei der anstehenden Bundestagswahl nicht meine Stimme zu geben und diese, meine Stimme, gegen sie zu erheben. Mich zu empören über Unsensibilität, mich zu empören über ein politisches Gebaren wie an einem Pokertisch, über ein Gebaren wie eine Rechenmaschine, die eiskalt und skrupellos kalkuliert und die Ergebnisse gegeneinander verrechnet und den maximalen persönlichen Gewinn anstrebt. Das ist völlig falsch verstandener Pragmatismus.

Die Politik sei ein schmutziges Geschäft, heißt es. Geschäfte sind schmutzig, weil die, die sie betreiben, sie schmutzig machen, Herr Merz, Frau Weidel, Herr Lindner und all Ihr anderen, die Ihr meint, zum Wohle des Staates zu handeln, wenn Ihr eure Geschäfte im Parlament macht.

Diese Worte hier werden aller Voraussicht nach nie ihre Adressaten erreichen, und dennoch wollten sie gesetzt, geschrieben sein. Um nicht tatenlos dazustehen und mich gegen die Scham, die in mir aufkommt, zur Wehr zu setzen und sie dorthin zu verorten, wo sie meiner Meinung nach hingehört. Denn nicht ich habe mich zu schämen, sondern jene, die skrupellos ihre Machtinteressen durchzusetzen versuchen. Die, die kein Gewissen der Welt zu plagen vermag. Die, die mit der Repräsentation der Bürger eines Staates beauftragt wurden, und sich dafür keinen Deut interessieren und stattdessen von egoistischen Wünschen und Träumen getrieben sind. Die, die sich von jenen wählen lassen, denen sie Versprechungen machen, die sich nicht einhalten. All die haben sich zu schämen.

Eigentlich. Doch das ‚politische Geschäft‘ hat sie und sich offenbar eines Teils beraubt, der sie für Scham zugänglich macht. Sie haben offenbar kein Gewissen mehr.

Stattdessen wird diese Scham auf andere übertragen, denn irgendwo muss sie sich niederschlagen, soll noch irgendwo ein Gewissen walten können.

Schämen SIE sich doch, Herr Merz, und alle, die für Sie sprechen, Ihnen zustimmen, Sie unterstützen. Ja, spüren Sie’s? So fühlt es sich an, wenn ein einzelnes Gesicht zum Gesicht vieler, gar aller, wird. Sie spüren nichts? Eben, deshalb können Sie so handeln, wie Sie gehandelt haben. Ich nenne solches Handeln „trumpeln“. Als USA-erfahrener Blackrocker und Millionär fällt es Ihnen ja bestimmt leicht, sich mit dem amtierenden amerikanischen Präsidenten gemein zu machen. It’s just ‚business‘, so what?

Hört alle miteinander auf, ihr, die ihr meint, die Zukunft liegt in der Vergangenheit geborgen und ist von dort zu erheben, meine Vernunft zu besudeln und meinen Verstand zu beleidigen.

Ihr widert mich an, ihr provoziert meinen Ekel. Schämt gefälligst Ihr Euch auch dafür, alle miteinander!

Doch Ihr habt nach meiner Beobachtung offenbar keinen Funken Anstand mehr im Leib, wenn Ihr ‚Politik‘ betreibt. Ihr wollt ‚Politik‘-Geschäfte machen, doch es fehlt dafür am Mindestmaß der Kaufleut’sehre.

Deswegen wird es Euch nicht gelingen, zu erröten und den Blick zu senken. Doch was schert Euch das, Ihr unanständigen Krämerseelen …